Plinio Correa de Oliveria
Lassen wir unseren Blick ein wenig auf Thereses Gesicht verweilen. Es ist ganz ruhig, es gibt keinerlei Spannung. Es ist das Gesicht einer Person, die daran gewöhnt ist, wenig Aufmerksamkeit zu erhalten, der Ausdruck von jemandem, der ans Alleinsein gewöhnt ist. So sieht eine wahre Karmelitin aus: Sie lebt nicht für Aufmerksamkeiten und Komplimente. Die Schwestern gehen freundlich miteinander um, zeigen aber nach außen ihre Zuneigung nicht übermäßig.
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In ihrem so gelassenen Gesicht, wie auch am ganzen Körper, zeichnen sich erste Spuren von Gewichtszunahme ab, was auf ihre spezielle Ernährung aufgrund der Tuberkulose zurückzuführen ist. Die Gesichtszüge scheinen ganz ruhig, ganz friedlich, doch die Augen zeigen eine unergründliche Tiefe und Lebenskraft. Zwei Augen, Fenster zur Seele, von denen das eine – so sehe ich es jedenfalls – leicht abzuweichen scheint, während das andere ganz geradeaus blickt. Von diesem meint der Betrachter, angeblickt zu werden. Das andere Auge schaut auf einen anderen Punkt, wodurch der Eindruck entsteht, dass sie uns nicht anblickt; es ist ein edler Ausdruck, der Blick haftet an einem Punkt am fernen Horizont.
Verlieren wir uns in diesen Augen. Schauen wir besonders in jenes Auge, das durch das Licht ein wenig transparent aussieht. Die Augen sind eindrücklich klar; man könnte geradezu meinen, in ein Buntglasfensters zu blicken. Der feste Blick zeugt von ehrlicher Entschlossenheit. Hinter dem gleichmütigen Gesicht ist jedes Auge eine Flamme; Flammen einer glühenden Seele, geborgen im über allem stehenden Gleichmut des Karmeliterlebens, die tief in Gedanken versunken ist, die wünscht, die ersehnt, die betrachtet, wie ihr Bräutigam von Ferne auf sie zukommt: Es ist Christus, es ist der Tod, es ist das ultimative Opfer, der freie Entschluss, das Ende der gegenwärtigen Reise zu erreichen. In all der Friedlichkeit erkennen wir aber doch, wie sie einen Schmerz verbergen möchte, das Feuer ihrer Seele – was ihr aber nicht ganz gelingt, denn es dringt ja doch bis zu uns durch.
Thereses Lippen sind eine zweite Besonderheit. Man sieht gleich, dass sie ganz fein sind, und außerdem ganz gerade. Sie sind nicht niedlich oder puppenhaft. Sie sind schmal und zeugen von einem scharfen Sinn für Analyse und Kritik, und gleichzeitig auch Zurückhaltung. Sie sind gleichmütig, sie sagen nichts darüber aus, was innerlich vor sich geht. Einer der schönsten Blicke, die ich je gesehen habe!
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