Menu Close

Überlegungen zu den drei Erzengeln: St. Michael, St. Gabriel, St. Raphael

Julio Loredo

Eine Art von Dreifaltigkeit

     Unter den Myriaden von Engeln hat Gott gewollt, dass nur drei unter ihrem Namen bekannt sind: der hl. Michael, der hl. Gabriel und der hl. Raphael, von denen die Heilige Schrift und die kirchliche Tradition reichlich Zeugnis ablegen[1]. Für Plinio Corrêa de Oliveira ist das nicht zufällig. Diese drei Erzengel repräsentieren drei Seinsweisen, drei geistige Familien, die in Engeln und Menschen existieren. Der brasilianische Denker schreibt:

     »Der hl. Michael steht für Größe und Unerschrockenheit. St. Gabriel für Stärke. Der heilige Raphael für Lösung von verfahrenen Situationen. Sie sind die Archetypen der drei Hauptaktivitäten des Lebens: Kontemplation, Aktion und Kampf. Ich frage mich, ob sie nicht – absolut – drei Seinsweisen darstellen, drei geistige Familien, die nicht nur in der Engelswelt, sondern auch in der Menschenwelt existieren. Menschen in der Art des hl. Michael, des hl. Gabriel und des hl. Raphael. Im Leben der Menschen selbst gäbe es „gabrielische“, „raphaelische“ und „michaelische“ Handlungen…«

     »Mehr. Ich frage mich, ob wir das Leben unseres Herrn nicht unter diesem Gesichtspunkt betrachten können. Wir können uns zum Beispiel fragen, in welchen Episoden der „gabrielische“, der „raphaelische“ oder der „michaelische“ Aspekt mehr zum Vorschein kommt. Dies wäre eine sehr interessante Studie über das Evangelium. Unser Herr auf dem Berg Tabor zum Beispiel war ausgesprochen „gabrielisch“. Als er die Händler aus dem Tempel vertrieb, war er ausgesprochen „michaelisch“, wie auch in seiner Passion. Nicht umsonst bedeutet „Agonie“ im Griechischen „Kampf“. Ich glaube auch, dass wir bei Unserem Herrn auf eine Chronologie verweisen können: dreißig Jahre „gabrielisches“ Leben; drei Jahre „raphaelisches“ Leben; und drei Tage „michaelisches“ Leben.

Lesen Sie auch:

     Wie ich schon sagte, sind diese drei Erzengel das Urbild der drei Hauptaktivitäten des Lebens: Kontemplation, Aktion und Kampf. Zusammen bilden sie ein Unum (eine Einheit). Sie ergänzen sich gegenseitig, d. h. sie stehen unterschiedlichen, aber komplementären Aspekten des Lebens von Engeln und Menschen vor. Engel und Menschen haben mal mit dem einen und mal mit dem anderen zu tun. Der hl. Gabriel erleuchtet, der hl. Raphael leitet die Arbeit, der hl. Michael leitet den Kampf«.

     Für Plinio Corrêa de Oliveira bilden diese drei Erzengel eine Art Dreifaltigkeit:

     »Es gibt einen sinnvollen Grund, warum sich diese drei Erzengel von den unzähligen Engeln des Himmels unterscheiden. Mir gefällt die Vorstellung, dass sie einen trinitarischen Höhepunkt in der Engelsordnung darstellen. Unter den Seraphim selbst bilden sie eine Art besonderer Dreiergruppe. Sie stehen für drei grundlegende Seinsarten, die miteinander verwoben sind. Es ist offensichtlich, dass in der Arbeit und im Kampf Liebe steckt, genauso wie in der Arbeit und in der Liebe Kampf steckt, und so weiter. Es gibt eine Art Umkehrbarkeit, eine trinitarische Perikorese, die ein trinitätsähnliches Plenum bildet.

     »Unabhängig von ihrer Natur, die offensichtlich ungleich und daher hierarchisch ist, hat jeder eine gewisse Vormachtstellung. Der hl. Michael wurde in dem Prozess erhoben und verdiente es, die himmlische Miliz zu befehligen. Der hl. Gabriel kennt Gott besser und kann dieses Wissen besser vermitteln. Der hl. Raphael löst eher Schwierigkeiten. Jeder hat seinen eigenen Auftrag.

     »Während der hl. Michael ein Prophet im Kampf ist, ist der hl. Raphael derjenige, der die Führer inspiriert und die Pläne zeichnet, während der hl. Gabriel mit Metaphysik erleuchtet. Der hl. Gabriel ist der Engel der Metaphysik, der hl. Raphael der Engel der Metapolitik und der hl. Michael der Engel des Metakampfes.

     »Welche Rolle spielen die drei Erzengel in Bezug auf die Gegenrevolution? Der hl. Gabriel verleiht dem wahrhaft gegenrevolutionären Geist, der vom karolingischen Ideal durchdrungen ist, eine sehr hohe Vorstellung von den Dingen, wie sie sein sollten, und gibt die allgemeinen Konturen vor, wie die Ordnung sein sollte. Der hl. Raphael hingegen skizziert die Metapolitik, d. h.: Was sind die konkreten Schritte zur Umsetzung einer solchen Ordnung? Welche Möglichkeiten gibt es, sie zu organisieren? Dann kommt der hl. Michael, der gegen die Gegner kämpft, die sich gegen diese Ordnung stellen.

     »Dieser trinitarische Charakter findet sich auch in anderen Bereichen. Zum Beispiel der dreifache Munus (Aufgabe) der Kirche: lehren, leiten und heiligen. Welcher Erzengel entspricht jeder Einzelnen dieser drei Aufgaben? Wir können sagen, dass der hl. Gabriel lehrt, der hl. Raphael regiert und der hl. Michael heiligt, weil er gegen die Mächte kämpft, die die Seelen verderben wollen, und ihnen Mut und Kraft gibt.«

Der heilige Erzengel Michael

Bild von Thomas auf Pixabay

Plinio Corrêa de Oliveira ist im Grunde ein Kämpfer, aber seine Begeisterung wurde durch die Betrachtung des hl. Erzengels Michael geweckt:

     »St. Michael ist der Kämpfer. Er ist der Krieger tout bardé de fer (ganz in Eisen gehüllt), der die erste Revolution im Himmel besiegt hat, das Ur- und Vorbild aller weiteren Revolutionen. Als wachsamer Prophet war er der erste, der den gegenrevolutionären Schrei der Empörung ausstieß, der die Legionen der sakralen Treue unter seinem Kommando erweckte und versammelte. Ein Krieger voller Tatendrang, überwältigender Kraft und heiliger Zähigkeit. Er war der Erste im Angriff, der Stärkste im Kamp
f, entschlossen, wenn es darum ging, den Gegner zu bezwingen, äußerst hartnäckig, wenn es darum ging, allen Verführungen und Täuschungen zu widerstehen. Als unwiderstehlicher Exorzist wurde er vom Allerhöchsten mit einer unbesiegbaren Macht ausgestattet, die die Angriffe und Machenschaften des Teufels vernichtet und diesen so machtlos machte, wie er schändlich und verhasst ist. Der hl. Michael ist der Gegenrevolutionär, der in Heiligkeit und Stärke glänzt.

     »Leider habe ich noch kein Bild gefunden, das meine Vorstellung vom hl. Michael vollständig wiedergibt. Viele Bilder zeigen ihn als römischen Soldat mit dem kurzen Waffenrock. Aus der Ferne ist die Statue auf dem Gipfel des Mont Saint Michel sehr schön. Aus der Nähe sieht er jedoch eher wie ein Tänzer als wie ein Krieger aus. Ich weiß nicht warum, aber ich stelle mir den hl. Michael eher als einen nördlichen Typ als einen südlichen vor, großartig, engelgleich, durchscheinend, mit einer grundlegenden Note von Stärke, aber gleichzeitig mit einer enormen Güte für seinesgleichen.

     »Die traditionelle Frömmigkeit, die im Laufe der Jahrhunderte vom Heiligen Geist geformt wurde, hat den hl. Michael immer als edel und gelassen dargestellt, indem er den Teufel, der elend und widerwärtig ist, zertritt. Jemand, der vielleicht vom romantischen Geist befallen ist, könnte einwenden, dass die höchste Handlung des heiligen Michael nicht darin besteht, den Teufel zu zermalmen, sondern darin, Gott in der seligen Vision zu betrachten. Warum gibt es keine Darstellung des Heiligen Michael, der über Gott nachdenkt? Die Antwort ist einfach. Erinnern Sie sich an die Episode mit den Emmaus-Jüngern? Im Brechen des Brotes erkannten sie den Herrn: In fractione panis cognoverunt Eum. Es gibt Episoden im Leben eines Heiligen, die mit einer einzigen Geste den schönsten Aspekt seiner Seele zeigen. Es ist eine Geste, die uns wie ein Flash (Blitzlicht) ihre Seele erkennen lässt.

     »So könnte ich sagen: In victoria super diabolum, cognoverunt eum. Im Sieg des hl. Michael über den Teufel erkennen wir seine liebevolle, erhabene und feurige Seele. Er will bekannt werden, indem er den Feind niedertrampelt. Sein Akt der Anbetung Gottes ist ohne diesen Akt des Krieges nicht zu verstehen. In diesem Akt des Sieges, des Zornes, des heiligen Zornes, der absolut unerbittlich und ewig ist, erkennen wir die Seele des hl. Erzengels Michael. In diesem Akt verstehen wir seine ganze Liebe zu Gott und Unserer Lieben Frau. Er ist die Ferse der Gottesmutter, die der Schlange auf ewig den Kopf zertritt. Und gerade in der Rolle der Ferse zeigt er sich von seiner besten Seite«.

     Plinio Corrêa de Oliveira kommentiert Passagen aus Cornelius a Lapide über den hl. Erzengel Michael:

     »Der hl. Michael ist der große Krieger, der die Dämonen aus dem Himmel vertrieben hat. Die militärische Mission des hl. Michael beruht auf zwei symmetrischen und gegensätzlichen Gefühlen: einer brennenden Liebe zu Gott, die sich in einen unerbittlichen Hass auf seine Feinde verwandelt. Der hl. Michael hasst mit einem vollkommenen Hass[2]. Nichts ist logischer, unnachgiebiger, unerbittlicher, ewiger und vollkommener als der Hass des hl. Michael gegen den Teufel. Er hat nichts Schwammiges, nichts Relatives, nichts Schwankendes. Sein Hass ist total, fest, vollständig. Der hl. Michael ist die Liebe, die sich im Zustand des Kampfes befindet.

     »Die Schutzengel hängen vom hl. Michael ab. Sie bilden eine riesige Miliz, die gegen das Böse auf der Erde organisiert ist, sie sind die Vorhut der Armee unseres Herrn auf Erden.

     »Der heilige Michael ist aus zwei Gründen der Schutzpatron der Kirche: Er hat den Teufel besiegt und ist daher der natürliche Schutzpatron der streitenden Kirche, deren Aufgabe es ist, das Böse zu besiegen. Da er aber ein sehr hoher Engel ist, war es logisch, dass er die höchste Institution der Erde, nämlich die Kirche, unter seinen Schutz stellte. Ich frage mich, in welchem Verhältnis diese beiden Aspekte zueinander stehen. In Wirklichkeit sind sie eng miteinander verbunden. Gott wollte den hl. Michael als Schutzschild gegen den Teufel einsetzen. Er will auch, dass er der Schild der Menschheit gegen den Teufel und der Schild der Kirche gegen den Teufel sei. Er ist nicht nur Schild, sondern auch Schwert. Er verteidigt sich nicht nur, sondern greift den Teufel an und besiegt ihn, indem er ihn in die Hölle stürzt«.

     Laut Plinio Corrêa de Oliveira spiegelt sich die hohe Liebe des hl. Michael zu Gott in seiner Liebe zu der von ihm begründeten Ordnung wider. Sein „Quis ut Deus!“ war nicht nur ein Ruf zur Verteidigung Gottes, sondern auch der Ordnung des ganzen Universums:

     »Der heilige Michael kannte die Ordnung des Universums und wusste, dass sie die Herrlichkeit Gottes perfekt widerspiegelt. Er kannte die Ordnung mit einer einzigartigen Klarheit und liebte sie mit einer feurigen Liebe. Er kannte und liebte diese Ordnung in seiner Gesamtheit und bis ins kleinste Detail. Folglich verabscheute er mit vollkommenem Hass jede Unordnung, d.h. jeden Faktor, der diese Ordnung bis ins kleinste Detail in Frage stellte, denn er verstand, wie sehr diese Herausforderung die Herrlichkeit Gottes beleidigte. Deshalb erhob er sich gegen Satan und seine rebellischen Engel und übertrug sein siegreiches Feuer, das ihm den Sieg brachte, auf die Reaktion«.

     Wer ist St. Michael? Zu welchem Chor gehört er? In Anlehnung an den hl. Gregor erklärt der hl. Thomas von Aquin, dass der hl. Michael ein Fürstentum ist, der Vorrang vor anderen hat. Fürstentümer führen andere Engel in den Kampf. Da der hl. Michael im Himmel alle in den Kampf führte, wäre er der erste der Fürstentümer. Plinio Corrêa de Oliveira kommentiert:

     »Meine Verehrung besteht darin, dass der hl. Michael einer der sieben Engel ist, die dem Thron Gottes dienen. Wie verträgt sich das mit der Aussage des hl. Thomas? Diese Dinge haben geheimnisvolle Zusammensetzungen. Ich glaube jedoch, dass der hl. Michael wegen des Schwunges, der Bedeutung und der Vornehmheit der ihm übertragenen Aufgaben und wegen des Eifers, mit dem er sie erfüllt, nur ein Seraphim sein kann. Ich glaube nicht, dass er, ohne ein Seraphim zu sein, im Himmel eine solche Unnachgiebigkeit hätte an den Tag legen können, dass er zwei Drittel der Engel mitgezogen hätte. Ich habe immer geglaubt, dass er nach der kirchlichen Tradition ein Seraphim sei. Cornelius a Lapide sagt, dass er nach Christus der oberste Richter ist. Wiederum eine Aufgabe, die zu einem Seraphim gehört«.

     Dies ist nach wie vor ein umstrittener Punkt. Über die Stellung des hl. Michael in der Engelshierarchie gibt es unter Theologen unterschiedliche Meinungen. Während die einen behaupten, er sei der oberste Engel – die Liturgie nennt ihn „Fürst der himmlischen Heerscharen“ -, behaupten andere, es gebe zwei Michaels: einer sei der oberste Engel, der andere das Oberhaupt der streitenden Kirche. Was hält Plinio Corrêa de Oliveira von dieser Idee?

     »Wie ist es möglich, dass es zwei Engel mit demselben Namen gibt? Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Name dem Wesen nach vergeben wird? Ich glaube, dass dies möglich ist, wenn wir sie als perfekte Jünger des jeweils anderen betrachten, eine Art engelhafte Komplementarität. Zum Beispiel sagte unser Herr über Johannes den Täufer: „Er ist Elias“. Das heißt, er habe den Geist des Elias übernommen. In gewisser Weise wurde er zu Elias. Könnte man sich eine solche Beziehung zwischen den beiden hypothetischen Michael’s vorstellen?«.

     Die byzantinische Liturgie nennt den hl. Michael Archistrategos, d.h. Generalissimus. Dr. Plinio kommentiert:

     »Es ist wunderschön! In den strategischen Notwendigkeiten der Gegenrevolution sollten wir ihn anrufen: „Archistrategos, bitte für uns!“

     In der französischen Sprache wäre er der „connétable“. Der hl. Michael erweckt den Eindruck einer Person, die an vorderster Front kämpft, gleichzeitig aber auch der Generalissimus ist, der alles befiehlt. Er greift an allen Fronten an, setzt sich allen Gefahren aus, nimmt alle Stürme auf sich und führt die Armee zu einem blitzschnellen und entscheidenden Sieg. Das ist die Aufgabe eines Connétable. Das ist es, was St. Michael ist. Er hat etwas von einem Helden, einem Tapferen, einem Ritter, der auf einem weißen Pferd reitend ganze Legionen zum Sieg führt.

     »St. Michael steht zu Gott, wie der Kaiser des Heiligen Reiches zum Papst stand. Der Kaiser war die rechte Hand des Papstes in weltlichen Angelegenheiten und in Fällen, in denen die Anwendung von Gewalt notwendig war. Der hl. Michael ist der Vollstrecker der Pläne Gottes, wenn es um den Einsatz von Gewalt geht. Es war die Aufgabe des hl. Michael, die Ketzer aus dem Himmel zu vertreiben, so wie es die Aufgabe des Kaisers war, die Ketzer von der Erde zu vertreiben. Das eine ist ein Abbild des anderen.

     »St. Michael ist das Urbild der Ultramontanen aller Zeiten. Er ist der Geist des hl. Mattatias, des hl. Elias und all derer, die das Böse in jedem Zeitalter bekämpft haben. Im Mittelalter war er der erste der Kreuzritter, der vollkommene Ritter, der sein ganzes Vertrauen auf Gott und die Gottesmutter setzte. Er ist der oberste Kreuzritter.

     »Der heilige Michael ist auch der Archetyp des Leidensgeistes. Von allen Formen des Leidens ist die Last des Kampfes gegen das Böse zu tragen, die schwerste. Es geht nicht nur darum, durchzuhalten, sondern eine unerschrockene Seele zu haben, die voller Initiative gegen das Böse ist. Der heilige Michael, der ein Schwert schwingt, bereit für alle Schlachten, eifrig in der Verfolgung der Feinde Gottes, ist der höchste Geist des Leidens«.

Der heilige Erzengel Gabriel

Bild von Welcome to All ! ツ auf Pixabay

 Der hl. Gabriel ist vor allem für die Verkündigung bekannt. Etymologisch bedeutet Gabriel „Bote Gottes“. Er ist der Engel der Botschaften, wie zum Beispiel, als er der Gottesmutter ankündigte, dass sie die Braut des Heiligen Geistes und Mutter des fleischgewordenen Wortes werden würde. In der Heiligen Schrift erscheint er auch als Zerstörer. Nach Cornelius a Lapide ist er der Engel der Beständigkeit, die „lebendige Kraft Gottes“ oder der „Starke Gottes“. Bei Plinio Corrêa de Oliveira lesen wir:

     »Beständigkeit ist ein Zeichen von Stärke. Die Menschwerdung war das höchste Werk der Macht Gottes. Kein Mensch ist so intelligent, dass er sich eine hypostatische Vereinigung zwischen Gott und Mensch ausdenken könnte. Der Mensch würde es nicht wagen, diesen Schritt mit seinem Verstand zu tun«.

     Cornelius a Lapide erklärt, dass der hl. Gabriel, nachdem er seine Botschaft vollbracht hatte, sich vor Bewunderung nicht von der Muttergottes lösen wollte und in der Kniebeuge verharrte. Plinio Corrêa de Oliveira kommentiert:

     »Wir können uns die Aufmerksamkeit der Gottesmutter vorstellen, die ganz auf das Wort gerichtet war, das gerade in ihr Mensch geworden ist. Ihre ganze Seele flog in diese Richtung. Nach der ersten Überraschung mit der Verkündigung war sie begeistert. Alles in ihr war höchst geordnet, höchst heilig. Ihre Seele berührte alle Realitäten. Und der heilige Gabriel, der wusste, dass Unser Herr im Schoß Marias war, betete ihn an und betrachtete alle Bewegungen der Gottesmutter in diesen ersten Momenten der Beziehung zum fleischgewordenen Wort«.

     Für die Missionen unter den Menschen schickt Gott normalerweise die niederen Engel. Bei der Verkündigung machte er angesichts der hohen Stellung der Empfängerin eine Ausnahme:

     »Wir können uns eine Vorstellung davon machen, wer der hl. Gabriel ist, wenn wir die Art der ihm anvertrauten Mission betrachten. In der Welt der Engel sind die Aufgaben der Natur entsprechend. Ganz anders als bei den Menschen. Man kann nicht sagen, dass jemand von Natur aus Sekretär oder Botschafter ist. In der Welt der Engel hingegen hängt das Handeln von ihrer Natur ab. In der göttlichen Vorstellung gab es also einen Grund, warum diese Mission, die Verkündigung, vom hl. Gabriel ausgeführt werden sollte. Aus diesem Auftrag lassen sich Vorstellungen über seine Tugenden und seinen Glanz ableiten.

     »Was können wir über die Mission sagen? Erstens, dass sie höchst erhaben war, ja, dass sie die wichtigste Aufgabe der gesamten Menschheitsgeschichte war. Dieser Engel wurde gesandt, um zu sagen, dass die Fülle der Zeit gekommen war. Dass die Herrschaft des Teufels zu Ende geht. Er wurde gesandt, um die Zustimmung der Gottesmutter für die Menschwerdung des göttlichen Wortes zu erbitten. Das ist enorm! Stellen wir uns vor, wie erhaben der Engel sein muss, dessen Aufgabe es ist, die Milchstraße zu bewegen. Die Milchstraße zu bewegen ist wie ein Sandkorn, verglichen mit der Bewegung der Seele der Gottesmutter. So können wir uns ein Bild davon machen, wer der hl. Gabriel ist«.

     Aus der Verkündigungsepisode leitet Dr. Plinio auch einige Aspekte der Psychologie des Heiligen Gabriel ab:

     »Aus der Verkündigungsepisode können wir einige bekannte Merkmale der Psychologie des hl. Gabriel ableiten, angefangen bei seinem Sinn für Hierarchie. Bevor Maria das „Ja“ aussprach, das sie zur Mutter Gottes machen würde, war sie nach der Natur und aufgrund ihrer Stellung dem hl. Gabriel unterlegen. Doch er behandelte sie bereits wie eine Königin, so groß ist sein Sinn für Hierarchie. Andererseits versetzte sie sich auch in eine Situation des respektvollen Zuhörens, da sie durch den Erzengel eine Botschaft von Gott erhielt. Dies sind zwei sich gegenseitig bewundernde Überlegenheiten. Alles im Gegensatz zu Satans egalitärem Non-Serviam. Es ist ein zutiefst gegenrevolutionäres Verständnis von Hierarchie.

     »Ein zweiter Aspekt: Indem er sich an die Jungfrau der Jungfrauen wendet, um ihr anzukündigen, dass sie Mutter wird, während sie noch Jungfrau ist, vollbringt der hl. Gabriel ein Meisterwerk der Verherrlichung der Jungfräulichkeit und Reinheit. Er verkündet, dass Gott beschlossen hat, alle Gesetze der Natur zu brechen, um die vollkommene Jungfräulichkeit Seiner Mutter zu bewahren. Es ist die größte Verherrlichung der Keuschheit, die ich kenne. Man kann also die sehr tiefe Beziehung dieses Engels zur Reinheit verstehen.

     »Und auch das ist zutiefst gegenrevolutionär. Die Säulen der Revolution sind der Stolz und die Sinnlichkeit[3]. Die Säulen der Gegenrevolution sind hingegen Demut und Liebe zur Reinheit. In diesem Sinne hat der heilige Gabriel den Kopf der Schlange ebenso zertreten wie der heilige Michael. Ein Maler, der den hl. Gabriel darstellen würde, indem er die Menschwerdung des Wortes der seligen Jungfrau ankündigt, gleichzeitig die Schlange zertritt, würde etwas sehr Wahres bekräftigen«.

     Plinio Corrêa de Oliveira, der schon immer ein Gespür für Schönheit hatte, die für uns Menschen in erster Linie durch die Sinne wahrgenommen wird, hatte auch Freude daran, sich den Klang der Stimme des hl. Gabriel vorzustellen:

     »Es ist besondere vorzüglich, wenn etwas sehr Erhabenes und Großartiges sich in Süße gehüllt präsentiert. Dies ist der Fall bei der Kirche, die ein Höchstmaß an Ernsthaftigkeit, Erhabenheit und Adel darstellt, begleitet von einer ganz besonderen Süße und Güte. Ich kenne keine Episode, in der diese Synthese besser zum Ausdruck gekommen ist als in der Verkündigung. In der Ankündigung, dass die heiligste Jungfrau Mutter des Wortes werden würde, liegt eine Süße, die ich nicht einmal beschreiben kann, und gleichzeitig eine Würde, eine unermessliche Majestät. Noch nie hat jemand die Wahl eines Papstes oder die Krönung eines Kaisers in einem solchen Tonfall angekündigt! Das war der Ton der Stimme des hl. Gabriel, die perfekte Synthese aus Majestät und Sanftmut«.

     Der heilige Gabriel ist auch der Schutzpatron des Karmeliterordens. Der hl. Prophet Elias, der eigentliche Gründer des Ordens, wird von den Theologen als der erste Verehrer der Muttergottes angesehen. Die Kommentatoren sind sich einig, dass die kleine Wolke, die er aus dem Meer aufsteigen sah (1. Könige 18,42-45), die allerseligste Jungfrau Maria darstellt, die einen Gnadenregen (Jesus Christus) über die Welt bringen würde. Mit anderen Worten: Elias war der erste Verehrer der Muttergottes, der auf dem Berg Karmel den Marienkult einleitete, der bis zum Ende der Zeiten andauern sollte.

Der heilige Erzengel Raphael

wikimedia.commons – public domain

  Über den heiligen Raphael schreibt Plinio Corrêa de Oliveira:

     »Wenn der hl. Michael für Größe und der hl. Gabriel für Stärke steht, ist St. Raphael die Lösung für komplizierte Situationen. Er ist wie eine Salbe und steht in engem Zusammenhang mit der Verehrung der Muttergottes der Gnaden. Das Buch Tobias spricht von ihm.

     »Wenn wir die Geschichte von Tobias betrachten, der eine Schuld bei einem Verwandten seines Vaters eintreibt und nicht nur reich, sondern auch mit der schönen Tochter des Verwandten verheiratet nach Hause zurückkehrt, sehen wir zunächst, dass es sich nicht um eine Situation des Kampfes handelt, sondern um die Lösung von Schwierigkeiten im Verlauf einer bestimmten Handlung. Der hl. Raphael, der Tobias in Menschengestalt erscheint, ist der perfekte Diplomat, der tausend gefährliche Situationen löst und am Ende alles regelt, sogar das Eheleben von Tobias«.

     Der hl. Raphael wäre der Engel der List:

     »Raphael bedeutet „Medizin Gottes“, nicht nur im klinischen Sinne des Wortes, sondern vor allem im Sinne von jemandem, der in misslichen oder scheinbar ausweglosen Situationen Abhilfe schafft. Der hl. Raphael rettete Tobias aus allen möglichen schwierigen Situationen und half ihm, seine Schulden bei seinem Verwandten einzutreiben. Er ist ein Arzt in dem Sinne, dass er den Menschen mit List, mit Savoir-faire hilft. Er erreicht durch List, was andere durch andere Mittel erreichen. Ein Erzpolitiker wie Ludwig XI. von Frankreich zum Beispiel machte die Kavallerie fast nutzlos, so geschickt war er im Schmieden von Bündnissen. Mit seiner Politik machte er den bewaffneten Kampf fast überflüssig, was eher eine Folgeerscheinung war. Das soll nicht heißen, dass Superschlauheit das Gegenteil von Ritterlichkeit ist. Wenn überhaupt, dann ist es das Gegenteil von naiver, dummer Ritterlichkeit ohne Arglist und politisches Gespür.

     »Nehmen wir die Chanson de Roland (Rolandslied). Man sieht, dass der Autor die ganze Schlauheit von Ganelon[4] kennt. Was ist nun das Mittel gegen Ganelon? Es ist nicht Gewalt, sondern eine dem hl. Raphael vergleichbare List.

     »Das wirft eine Frage auf: Können wir die List der Revolution ohne die Hilfe des hl. Raphael besiegen? Die Gerissenheit der Kinder der Finsternis besteht darin, die Dinge in ihrer Komplexität zu sehen und zu wissen, wie man sich durch das Labyrinth dieser Komplexität bewegt, indem man jedes Detail und jeden Winkel gut kennt. Ich verstehe nicht, wie ein Kind des Lichts diese Denkweise haben kann. Für das Kind des Lichts besteht der Scharfsinn darin, die Einfachheit der Situation zu erkennen, d.h. alle komplexen Zusammenhänge gut zu kennen um dann in der Lage zu sein, ein Unum abzuleiten, um sie zu lösen. Der Schutzpatron dafür ist natürlich der hl. Raphael«.

     Dr. Plinio fährt fort:

     »Der hl. Raphael zeigt eine überragende aktive Weisheit, er weiß in jeder Situation die beste Vorgehensweise zu erkennen. Ich erinnere mich an diesen Satz von Marschall Foch: „Ma droite est pressée, ma gauche est menacée, mon arrière est coupée. Que fais-je? J’attaque!“ (Meine Rechte wird bedrängt, meine Linke ist bedroht, meine Nachhut ist abgeschnitten. Was soll ich tun? Ich greife an!)[5] Es handelt sich um eine „raphaelische“ Aktion im Sinne der Anwendung eines absolut überlegenen strategischen Denkens in einer sehr schwierigen konkreten Situation. Die Kunst des Regierens, die prophetische Lenkung der öffentlichen Meinung, das ist die besondere Aufgabe des hl. Raphael«.

Anmerkungen:

[1] Die Kirche rät davon ab, anderen Erzengeln Namen zuzuweisen, obwohl diese Praxis – die auf apokryphen jüdischen Texten beruht – heute weit verbreitet ist. Im „Direktorium für Volksfrömmigkeit und Liturgie. Grundsätze und Richtlinien“ des Heiligen Stuhls, Nr. 217, Absatz 2, heißt es eindeutig, dass: „Auch die Gewohnheit, den Engeln besondere Namen zu geben, mit Ausnahme von Michael, Gabriel und Raphael, die in der Heiligen Schrift enthalten sind, ist zu tadeln“. Diese Umsicht hat historische Wurzeln. Auf einer Synode in Rom im Jahr 745 verbot der heilige Papst Zacharias die Verwendung von Namen, die nicht in der Heiligen Schrift vorkommen. 1992 verbot ein Dekret der Glaubenskongregation die Anrufung oder Verwendung anderer als der bereits genannten Engelsnamen.

[2] Kommentar im Lichte von Psalm 138: „Perfecto odio oderam illos inimici facti sunt mihi“ – Mit vollkommenem Hass hasse ich sie, zu meinen eigenen Feinde sind sie geworden.

[3] Vgl. Plinio Corrêa de Oliveira, „Revolution und Gegenrevolution“, S. 74 ff. deutsche Ausgabe TFP 2013.

[4] Ganélon, eine zwielichtige Gestalt aus dem epischen Gedicht „La Chanson de Roland“ (Rolandslied), das im 11. Jahrhundert verfasst wurde. Mit geschickten Manövern verrät er Kaiser Karl den Großen und veranlasst ihn, die von Roland befehligte Nachhut ungeschützt zu lassen, die in der Schlacht von Roncesvalles (15. August 778) von den Basken, die später im Gedicht als Sarazenen umgedeutet werden, vollständig vernichtet wird.

[5] Ferdinand Foch (1851-1929), Marschall von Frankreich, Befehlshaber der französischen Armee im Ersten Weltkrieg. Der Satz, den Dr. Plinio aus dem Gedächtnis abgerufen hat und der während der Schlacht an der Marne geäußert wurde, lautet eigentlich: „Pressé fortement sur ma droite, mon centre cède, impossible de me mouvoir, situation excellente, j’attaque!“ (Stark bedrängt zu meiner Rechten, meine Mitte gibt nach, unmöglich mich zu bewegen, ausgezeichnete Lage, ich greife an!)

Quelle: p-c-o.blogspot.com

Abonieren Sie den Blog Newsletter…

und erhalten Sie alle updates aus unserem Blog direkt in Ihr Postfach