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110. Jubiläum Eucharistische Prozession

Ein Korrespondent der katholischen Londoner Zeitschrift „Tablet“ beschreibt die Eucharistische Prozession, welche in Wien am Sonntag, den 15. September 1912, dem letzten Tag des Internationalen Eucharistischen Kongresses jenes Jahres, stattfand. […]

Auf dem zwei Jahre vorher abgehaltenen Internationalen Eucharistischen Kongress in Montreal hatten ein strahlend blauer Himmel und eine warme Sonne zum glorreichen Triumph des Tages beigetragen – in Wien jedoch goss es am Vortag der Prozession wie aus Kübeln, der Regen durchnässte die prächtigen Lorbeerkränze, Girlanden und Fahnen, die in der ganzen Stadt angebracht worden waren. Bäuerliche Pilger, die aus Ungarn, Galizien und anderen Orten anreisten, hatten sich ihre Stiefel über die Schultern geworfen und wateten durch die nassen Straßen. In allen Kirchen wurde angekündigt, dass im Falle einer Absage der Prozession weiße Fahnen am Stephansdom gehisst werden würden.

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Der Sonntag brach an; dem anfänglichen Nieselregen folgte eine trockene Windstille, die die Kongressteilnehmer auf gutes Wetter hoffen ließ. Doch um 8 Uhr setzte der Regen in Strömen ein. Noch war kein Zeichen einer Absage gegeben worden, und die Nachricht, dass die Prozession stattfinden würde, machte die Runde.

Man sagt, der Kaiser wollte nichts von einer Planänderung wissen. „All diese guten Leute sind sowieso schon durchnässt, seit sie in Wien angekommen sind“, sagte Seine Majestät. „Eine Prozession im Regen wird keinen Unterschied mehr für sie machen. Jedoch wären sie überaus enttäuscht, wenn sie abgesagt würde. Und vielleicht wäre es auch für uns, die wir uns bis jetzt trocken halten konnten, gut, ein wenig nass zu werden.“

Foto: G. Monteiro

Und so machten sich 500.000 Männer und Frauen im strömenden Regen auf ihren Weg zu den verschiedenen ihnen jeweils zugeteilten Standorten entlang der Route. Natürlich machten die elf Völker des Österreich-Ungarischen-Kaiserreichs einen großen Teil der gläubigen Schar aus, doch auch Deutschland, Frankreich und Italien waren zahlreich im feierlichen Zug vertreten.

Auf dem Heldenplatz vor der Hofburg ergab sich ein historisch einmaliges, eindrückliches Bild.
Unter dem Erzherzog-Carl-Denkmal hatten sich die treuen Söhne Tirols mit ihrem großen Kruzifix versammelt; um sie herum scharten sich all die Völker des mächtigen Kaiserreichs.

Alle trugen ihre traditionellen Gewänder, und für dieses eine Mal konnten sie alle Uneinigkeiten zu Ethnie und Sprache vergessen. Schulter an Schulter, Banner an Banner standen sie dort, mit nichts im Sinn als den heiligen Anlass, zu dem sie sich versammelt hatten.

Die Buben vom österreichischen „Knabenhort“, [dem Vorläufer] der Pfadfinderbewegung, in ihren Matrosenanzügen am Rand des Platzes waren eine aufmerksamkeitserregende Gruppe. Auch die „Studentenschaft“, eine eindrückliche Gruppe katholischer Jugendlicher aus dem ganzen Kaiserreich, ernteten herzlichen Beifall für ihr nobles militärisches Auftreten, als sie sich unter einem Banner ihrer himmlischen Königin zu ihrem Posten aufmachten.

Die Prozession setzte sich zusammen aus kirchlichen und staatlichen Würdenträgern, Schlosskutschen und berittenen Eskorten, auf die hinter einer Abteilung von kaiserlichen Reitern und Kämmerern die prächtige golden-gläserne, von acht prächtigen Braunen gezogene Kutsche der Maria Theresia folgte, in der sich das Allerheiligste befand.
Die Sitze hatte man entfernt, und der ganze Innenraum war mit weißer Seide ausgekleidet worden. Im vorderen Teil der Kutsche war für den Anlass ein Altar errichtet worden, vor welchem der päpstliche Legat, Kardinal Van Rossum, und der Erzbischof von Wien, Kardinal Nagl, knieten. Sie segneten abwechselnd mit der Heiligen Monstranz die Menschenmengen, die triumphierend den Weg säumten. Seitlich geleiteten Priester mit hohen brennenden Kerzen die Kutsche, und in ihrem Gefolge ritt eine Gruppe österreichischer Adeliger.

Der Kaiser folgte in einer Staatskarosse, zusammen mit Erzherzog Franz-Ferdinand. Mit gebeugtem und entblößtem Haupt und gefalteten Händen fuhr er an seinem Volk vorbei, und so sehr sie ihn auch verehrten, so blieb er heute doch unbemerkt. Es waren alle gleich in der Gegenwart des Königs der Könige.

Die Soldaten grüßten das Allerheiligste Altarsakrament, doch ihrem Oberbefehlshaber erwiesen sie keine Ehre. „Ich brauche nicht gegrüßt zu werden in der Gegenwart Dessen, Der größer ist als alle Könige der Erde“, hatte Franz Josef angeordnet – und seine Soldaten gehorchten.

Für einen kleinen Moment durchbrach auch die Sonne die Wolkendecke, und ihre Strahlen ließen die Monstranz wie um die Heilige Hostie gegossenes flüssiges Gold aufleuchten, doch der Regen setzte gegen Ende wieder ein, bevor sich die Prozession langsam auflöste.
Endlich wieder einmal hatten sich „alle Nationen und alle Völker vereint, dem Höchsten zu huldigen“.