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Über den Ultramontanismus und den „Geist von Vatikanum I“

Freundliche Bemerkungen, um ein Missverständnis über den Ultramontanismus und den „Geist von Vatikanum I“ auszuräumen

José Antonio Ureta

Man kann der redaktionellen Position von OnePeterFive nur von ganzem Herzen zustimmen, wenn es darum geht, die „Clans“ in einem einzigen Kreuzzug zum Wiederaufbau der Christenheit zu vereinen, um „alles in Christus zu erneuern“. Gemeinsam mit dem neuen Redaktionsteam bedauere ich auch den Fehler einiger Vertreter des traditionellen Katholizismus, „unter sich über Kleinigkeiten diskutieren zu wollen, während Ketzer gegen das Dogma triumphieren“.

In diesem Sinne nehme ich die Einladung an, einen eigenen Gastbeitrag einzureichen, um die Frage zu erörtern, die im Mittelpunkt der Überlegungen zur redaktionellen Position des neuen Redaktionsteams steht, nämlich die richtige Haltung, die ein gläubiger Katholik angesichts der von Papst Franziskus und einem Großteil der Hierarchie propagierten Irrtümer einnehmen sollte.

Obwohl ich Ihrer Ablehnung des „Sedisvakantismus“ und der verführerischen Lösung, sich ins griechische Schisma zu flüchten, voll und ganz zustimme, habe ich einige Vorbehalte gegenüber den Bezeichnungen „Geist des I. Vatikanums“ und „extremer Ultramontanismus“, die Sie der verwerflichen Haltung derjenigen geben, die lieber mit dem Papst im Unrecht sind als gegen ihn im Recht.

Diesen falschen Gehorsamsbegriff, der viele konservative Katholiken lähmt, habe ich in meinem Buch „Der Paradigmenwechsel des Papst Franziskus – Kontinuität oder Bruch in der Mission der Kirche“ angeprangert, ihn aber einer anderen Quelle zugeschrieben: dem „Magisterialismus“, der sich in den letzten Jahrzehnten bei den Bewunderern von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. eingeschlichen hat, nicht so sehr weil beide die Modernisten kritisierten, weil diese von der traditionellen Lehre abwichen, sondern weil sie das Lehramt des amtierenden Papstes angriffen [1].

Die Idee, dass „das gesamte katholische Leben sich um den Papst drehen sollte, der eine Art delphisches Orakel wäre, dessen geringste Laune zum verbindlichen Gesetz in der Kirche wird“, ist absurd, aber mir scheint es gefährlich, sie als aus einem „falschen Geist des Vatikanums I“ und „extremem Ultramontanismus” entsprungen zu sein, zu bezeichnen. Aus der Sicht des Marketings ist es verlockend, eine Parallele zwischen den beiden letzten Konzilien zu ziehen und sagen, dass ihre Dokumente von einigen Extremisten in der jeweiligen nachkonziliaren Zeit verfälscht wurden. Diese einfache Lösung hat jedoch drei Probleme: 1) Sie gibt dem Zweiten Vatikanischen Konzil ein „Plazet“ der totalen Orthodoxie, indem sie ihm einen „Geist“ vorwirft, der angeblich im Widerspruch zu seinen Texten steht; 2) sie wirft einen Schleier des Misstrauens über die ultramontane Bewegung des 19 Jahrhunderts, indem sie sie auf derselben Ebene des Progressismus stellt, der Vatkanum II hervorbrachte; 3) es entspricht nicht der historischen Wahrheit, denn die „Papolatrie“ ist nicht eine vergiftete Frucht des Ultramontanismus, sondern ein widernatürliches Kind seiner Gegner, der liberalen Katholiken, die sie während des Pontifikats von Leo XIII. benutzen wollten, um die Gläubigen zu zwingen, seine Politik des „Ralliement“ gegenüber der französischen Freimaurerrepublik zu akzeptieren (A.d.Ü.: unter Ralliement versteht man die Politik des Vatikans, um die katholischen Monarchisten Frankreichs anzutreiben, die laizistische Republik anzunehmen).

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Es ist unbestreitbar, dass die Ultramontanen – und das ist ihr Verdienst – die großen Verteidiger der beiden Glaubensdogmen waren, die das Erste Vatikanum feierlich über den Papst verkündet hat, nämlich seine volle und universale Jurisdiktion und seine Unfehlbarkeit. Diese Verteidigung brachte ihnen schon damals den Vorwurf ein, „Theologen des Absolutismus“ zu sein und die Wahrheit „dem Götzen zu opfern, den sie sich im Vatikan aufgebaut hatten“ [2], so der Vorwurf des bekannten liberalen Schriftstellers Graf Charles de Montalembert (den ich im Übrigen zu meinem Erstaunen in Ihrer Liste der weltlichen Gegenrevolutionäre finde).

Aber ist es wahr, dass die Ultramontanen ihre Liebe zu diesen beiden Privilegien des Stuhls Petri übertrieben haben? Ganz und gar nicht. Um das zu beweisen, muss man einen Blick auf das Denken und Handeln von Bischof Louis-Edouard Pie werfen, der zusammen mit Kardinal Henry Edward Manning zu den Hauptakteuren des Ersten Vatikanischen Konzils gehörte. Ich beziehe mich auf die erste dieser Persönlichkeiten, weil ich die meiste Zeit des Jahres in Frankreich gelebt habe und mir seine Gestalt vertrauter ist, und weil Frankreich, die Erstgeborene Tochter der Kirche, unbestreitbar das geistige Zentrum der ultramontanen Strömung war. Schließlich, weil der Bischof von Poitiers der große Verteidiger des sozialen Königtums Unseres Herrn war und derjenige, der das Motto des Pontifikats von Pius X. inspirierte, das Ihre Website in ihrem Leitartikel aufgreift: Instaurare omnia in Christo.

Beginnen wir mit dem Vorwurf an den Ultramontanismus, eine gewisse Sympathie für den Absolutismus zu haben. Dies ist völlig unbegründet, sowohl was die weltliche als auch die religiöse Macht betrifft. Die Ultramontanen – und insbesondere der spätere Kardinal Pie – waren legitimistische Monarchisten, die den bonapartistischen, imperialistischen Zentralismus ablehnten und eine gemäßigte Monarchie verteidigten: „Das christliche Königtum, insbesondere das französische Königtum“, schrieb Monsignore Pie in einem monarchischen Programm, das auf Wunsch des Thronprätendenten, des Grafen von Chambord, verfasst wurde, „war niemals willkürlich oder gar absolut. Seit jeher wurde es durch die Existenz der verschiedenen Ordnungen des Königreichs, der Provinzversammlungen, der Generalstaaten, der Parlamente, der lokalen Freiheiten und Bräuche gemildert“ [3].

Die gleiche Vision einer gemäßigten Autorität galt auch für die Kirche. Bischof Pie war ein großer Verfechter der Vorrechte der so genannten Partikular oder Provinzial Konzilien. Er setzte sich dafür ein, dass sie in seiner Kirchenprovinz gefeiert wurden, führte die Dekrete aus und verfasste in dem Geist, der sie inspirierte, die für sie vorbereiteten Statuten. In seinem Kommentar zu einem Brief Pius IX. an die österreichischen Bischöfe, in dem er sie zur Abhaltung eines Provinzkonzils ermutigte, sah Bischof Pie darin eine „untadelige Antwort auf die vorschnellen Vorwürfe der Monopolisierung aller Zuständigkeiten und der Tendenz zu unbegrenzter Zentralisierung, die manche in letzter Zeit der römischen Kirche zu machen wagen“.

Er fügte hinzu: „Die Partikularkonzilien sind ein Element und eine Garantie für Freiheit und Nationalität der verschiedenen Provinzen der katholischen Welt; verschiedene ökumenische Konzilien haben ihnen diesen Charakter verliehen. Doch weit davon entfernt, sich über die Einberufung dieser Provinzversammlungen zu entrüsten, ist er selbst, das Oberhaupt der Kirche, es, der ihre Wiederaufnahme fordert, der ihre Abschaffung bedauert, der ihren Nutzen aufzeigt“. Welche? „Solange es Unterschiede in der Herkunft, in der Sprache, in der Regierung, ich würde sogar sagen, im Klima gibt, (…) wird die Existenz eines gemeinsamen Rechts, einer absoluten, einheitlichen Gesetzgebung, ohne Änderung und ohne Ausnahmen, in einer Reihe von Punkten, die die kirchliche Disziplin betreffen, unmöglich sein. Das Gewohnheitsrecht (…) lässt als Bestandteil des Rechts selbst das Prinzip der Ausnahmen, Abweichungen und Änderungen zu, sofern sie unter regulären Bedingungen erfolgen. Das Gericht, das die größten Garantien bietet (…), ist jedoch der Episkopat der kanonisch und konziliar vereinigten Provinz“ [4]. An anderer Stelle schrieb er: „Niemals hat der Apostolische Stuhl mehr [als unter Pius IX.] auf der periodischen Abhaltung besonderer Konzilien bestanden, in denen die Bischöfe jedoch gemeinsam diese Richterfunktion ausüben, die man Rom vorwirft, sie ihnen zu bestreiten“ [5].

Erlauben Sie mir eine Abschweifung: Die Konzilsväter des Zweiten Vatikanischen Konzils waren sehr schlecht beraten, als sie dem vorangegangenen Konzil vorwarfen, die Struktur der Kirche aus dem Gleichgewicht gebracht zu haben, und um dem abzuhelfen, eine „Kollegialität“ einführten, die der Tradition unbekannt ist und aus dem östlichen Schisma entlehnt wurde (sogar in dem Wort, das eine schlechte Übersetzung aus dem russischen sobornost ist). Im Gegensatz zu Lumen Gentium und der Nota praevia von Paul VI. übt das mit dem Papst vereinigte Bischofskollegium keine ständige oberste Gewalt über die Gesamtkirche aus. Die katholische Kirche ist nicht zweigliedrig, sie hat nur ein Haupt: den Nachfolger Petri. Die Jurisdiktionsgewalt der Bischöfe beschränkt sich in der Regel auf die einzelne Diözese, deren Seelsorger sie sind, es sei denn, sie werden vom Papst auf einem Konzil außerordentlich einberufen. Aber ja, sie können sich in Provinzkonzilien treffen, unter dem wachsamen Auge des Heiligen Stuhls, der über die Einheit der Kirche wachen muss, was Rom heute im Hinblick auf den deutschen Synodalweg ablehnt, obwohl es sich selbst eine Lehrbefugnis zuschreibt, die die Provinzialsynoden nie hatten, die lediglich über Disziplinarangelegenheiten entschieden haben.

Aber nehmen wir unseren Diskurs wieder auf, indem wir zum Kern der Frage vordringen: Waren die ultramontanen „Papolatri“ bereit, den Nachfolger Petri zu einer Art Pythonisa zu machen, die wie in Delphi die Orakel des Apollo aussprach? Ganz und gar nicht!

Die Haltung von Bischof Pie vor der Einberufung des Ersten Vatikanischen Konzils und während dessen Verlaufs war in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich.

Nach seiner Ernennung zum Konsultor durch Pius IX. und noch vor der öffentlichen Ankündigung der Konzilsversammlung erstellte Bischof Pie einen Entwurf für die Vorbereitungskommission zu den Themen, mit denen sich das künftige Konzil seiner Meinung nach befassen sollte. In der Überzeugung, dass das große Problem der Zeit die Verleugnung des Königtums Christi durch die Säkularisierung der Gesellschaft sei, schlug er ein Konzept vor, das vor allem darauf abzielte, die Irrtümer des Rationalismus und des Naturalismus anzuprangern (ein Konzept, das weitgehend in der dogmatischen Konstitution Dei Filius aufgegriffen wurde), das aber nicht die Frage der päpstlichen Unfehlbarkeit einschloss.

Gewiss, er war ein glühender Infallibilist, aber er war nicht auf diese noch nicht erklärte Glaubenswahrheit fixiert. So sehr, dass er vorschlug, Arthur-Marie Le Hire, einen Priester aus Saint-Sulpice und Professor für Heilige Schrift am berühmten Pariser Priesterseminar, einer Bastion des Gallikanismus, als Berater für das Konzil zu gewinnen.

Nach der offiziellen Einberufung des Konzils waren es die Liberalen, die die Gemüter erregten, indem sie die Wölfe riefen und eine Kontroverse über die Unfehlbarkeit entfachten, die noch nicht auf der Tagesordnung stand. Von mehreren befreundeten Bischöfen gedrängt, sich in diese Kontroverse einzuschalten, beteiligte sich Bischof Pie nicht daran und begründete dies in einem Brief an seine Diözesanen: „Wir haben den Entschluss gefasst, uns fortan nicht mehr in unserem Namen mit den kapitalen Fragen zu befassen, die sich in dieser heiligen Versammlung von selbst aufdrängen. Es schien uns, dass der Respekt, der unseren ehrwürdigen Kollegen im Bischofsamt gebührt, wie auch der Respekt, den wir uns selbst schulden, diese Zurückhaltung erfordert. Wir dürfen weder das Urteil der anderen behindern noch unser persönliches Urteil vorwegnehmen, auch wenn wir bereit sind, vom Gedankenaustausch und von den Früchten der Diskussionen zu profitieren und vor allem den Lichtern und Bewegungen des Heiligen Geistes zu gehorchen, dessen Beistand uns zu gegebener Zeit nicht versagt wird“ [6].

Doch der Bischof von Poitiers ließ sich von der hitzigen Kontroverse zwischen den verschiedenen Presseorganen beider Seiten zu diesem brennenden Thema nicht beirren: „Sollen doch die privaten Schriftsteller unter ihrer persönlichen Verantwortung Hypothesen formulieren und darüber debattieren. Die Kirche, die in ihren Verfahren sehr liberal ist und während der Dauer der Konzilssitzungen allen Gedanken und Gefühlen vollen Raum geben wird, ist durch diese öffentlichen Debatten weder beunruhigt noch beleidigt, wenn sie sich in gerechten Grenzen halten. Vorausgesetzt jedoch, dass der falsche Liberalismus, wie es bereits geschehen ist, kein Freiheitsmonopol beansprucht, und dass er gemäß seinen Praktiken des praktischen Absolutismus nicht nach Unterdrückung ruft und nicht wegen der Freiheit, die seinen Gegnern gelassen wird, empört aufschreit“ [7]. Es scheint, dass er prophetisch über unsere Zeit spricht!

Von diesem Vorbehalt rückte der künftige Kardinal Pie erst ab, als Monsignore Henri Maret, Dekan der Sorbonne, zwei Bände veröffentlichte, in denen er die vermeintliche „Allmacht“, die dem Papst die Definition einer persönlichen Unfehlbarkeit verleihen würde, die der rechtlichen Zustimmung des Bischofskollegiums fremd wäre, als „Absolutismus“ bezeichnete. Als Gegengewicht schlug der Pariser Prälat nichts Geringeres als die ordentliche Beteiligung der Bischöfe an der allgemeinen Leitung der Kirche vor, und zwar durch die Einberufung von ökumenischen Konzilien, die alle zehn Jahre stattfinden sollten (heute würde er seinen Vorschlag unter dem Namen „Synodalität“ formulieren).

Anlässlich des 20. Jahrestages seiner Erhebung in den Bischofsstand erklärte Bischof Pie in seiner Predigt, dass es ein Affront gegen die Verheißung Jesu Christi an Petrus wäre, die Lehrentscheidungen der Päpste der positiven oder stillschweigenden Zustimmung des Weltbischofs unterzuordnen. Er beeilte sich jedoch hinzuzufügen, dass er nach seiner Gewohnheit nicht die Absicht habe, „in irgendeiner Weise eine konziliare Definition zu provozieren oder zu präjudizieren, deren Zweckmäßigkeit zuerst und dann die Form ganz dem Urteil der großen synodalen Versammlung und dem höchsten Willen des Heiligen Geistes vorbehalten sein muss“. Um seine Taten mit seinen Worten in Einklang zu bringen, veröffentlichte er die Antwort von Bischof Maret in der Wochenzeitung der Diözese und fügte hinzu: „Es ist eine Regel, dass in jeder fairen Kontroverse die Verteidigung dort erscheinen kann, wo der Angriff stattgefunden hat“ [8].

Die gleiche Zurückhaltung bewahrte der künftige Kardinal, als am Vorabend der Konzilseröffnung der Verfechter der liberalen Strömung, Mgr Dupanloup, zwei polemische Schriften veröffentlichte, die unter dem Vorwand, die „Unangemessenheit“ einer feierlichen Definition der lehramtlichen Gewalt des Papstes aufzuzeigen, in Wirklichkeit die Unfehlbarkeit selbst formell angriffen. Vom Bischof von Angulême stammt der berühmte Ausspruch: Quod innoportune dixerunt, necessarium fecerunt, d.h. gerade diejenigen, die sagen, die Verkündigung eines Dogmas sei unangebracht, machen sie notwendig. Und Dom Prosper Guéranger, Abt von Solesmes, bemerkte, dass dies fehlte, um zu dem Schluss zu kommen, dass die Zeit gekommen war, die Unfehlbarkeit zu definieren. Bischof Pie bekräftigte jedoch in einem vertraulichen Brief an seine Mutter lediglich: „Wir sind entschlossen, trotz allem zu schweigen. Das Konzil wird gewinnen“ [9].

Das Konzil wurde am 8. Dezember 1869, dem Fest der Unbefleckten Empfängnis, eröffnet. Am darauffolgenden Tag wurde Bischof Pie mit 470 von 700 abgegebenen Stimmen zum zweiten Mitglied der Kommission für die Glaubenslehre gewählt. Doch dieser erste Sieg der von ihm vertretenen ultramontanen Doktrinen führte auch dazu, dass er sich gegenüber der ehemaligen Minderheit herabließ. In einem Brief an einen in Frankreich verbliebenen Geistlichen schrieb er: „Es wäre nicht ohne Vorteil gewesen, wenn einige Theologen der anderen Seite, wie Monsignore de Grenoble [Bischof Jacques Ginoulhiac], in die ersten Kommissionen berufen worden wären“, womit er die Kommissionen für Lehre und Disziplin meinte.

Als Berichterstatter der Generalkongregation zum Thema „Glaube und Vernunft“ vertraute er seiner Mutter an, dass ihm gesagt worden war, dass sein Vortrag von allen mit Sympathie gehört worden war und dass „Bischöfe fast aller Schattierungen ihm Komplimente gemacht hatten“ [10]. Es ist nicht verwunderlich, dass die Konstitution Dei Filius, die diesen Entwurf enthielt, von der Versammlung einstimmig angenommen wurde.

Am selben Tag dieser Zustimmung legten 150 Konzilsväter, die vom künftigen Kardinal Manning, Erzbischof von Westminster, dem großen Führer der ultramontanen Strömung in den englischsprachigen Ländern, geleitet wurden, dem Papst angesichts der sich verschlechternden internationalen Lage und der Kriegsdrohungen ein Postulat zur schnelleren Einführung der Frage der Unfehlbarkeit des Papstes vor. Anders als man vermuten könnte, gehörte Bischof Pie nicht zu den Unterzeichnern dieser Petition. Er war kein Übertreiber, wie die Ultramontanen manchmal dargestellt werden, aber er war der Verfechter der französischen Sprache. Seine Zurückhaltung geht erstaunlicherweise aus der Erklärung hervor, die er später den Priestern seiner Diözese gab, in der er die Bedeutung dieser Frage anerkannte, aber argumentierte, dass „nicht jedes Konzil jede Kontroverse regeln und jede Lehre definieren sollte“ und dass in der logischen Reihenfolge der Themen, die das Programm des Konzils ausmachten, die Unfehlbarkeit noch nicht angekommen war, da der zweite Teil des Entwurfs von De Fide über die Gnade, die Erbsünde und die Erlösung, der bereits fast vollständig geschrieben, noch nicht diskutiert worden war. Erst nach dieser großen dogmatischen Synthese sollte das Kapitel über die Kirche und den Papst in Angriff genommen werden, so dass die Frage der Unfehlbarkeit ihren natürlichen Platz finden würde. Schließlich glaubte er offiziell, dass das Stimmrecht, das ihm die Konzilsväter in der Glaubenskommission zugestanden hatten, ihm riet, diesen Vorbehalt zu machen, „da ich wahrscheinlich aufgerufen sein würde, persönlich bei der Einführung der Sache einzugreifen, was ja auch wirklich geschieht“ [11].

Es ist für unsere Zwecke interessant, folgende Bemerkung seines Biographen zu zitieren: „Es ist erstaunlich, dass er keiner militanten Gruppe angehörte und dass er, für alle zugänglich, die Gewohnheit hatte, die verschiedenen Geister und ihre verschiedenen Nuancen zu beobachten, jeden einzelnen zu studieren und zu vermeiden, dass sie mit den eingenommenen Parteien und vorgefassten Meinungen kollidierten, während er gegenüber den Bischöfen, die sich zu Führern der Opposition gemacht hatten, sehr standhaft blieb. Sein Gefolge und seine Freunde hätten ihn gerne an die Spitze der Mehrheit gestellt, aber er verzichtete auf jede persönliche Einmischung, da dies ein Missverständnis des Geistes der Kirche wäre“ [12].

Dennoch erkannte Bischof Pie schnell die Dringlichkeit, sich mit der Unfehlbarkeit zu befassen, um die Frage nicht in dem Tumult zu belassen, der durch die von der gallikanisch-liberalen Minderheit ausgelösten Kontroversen entstanden war, die sich beeilte, durch die Stimmen von 67 Bischöfen gegen eine mögliche Änderung des Diskussionsprogramms zu protestieren.

Angesichts der Tatsache, dass sich fünfhundert Bischöfe der Bitte angeschlossen hatten, sich mit der Angelegenheit zu befassen, ordnete Pius IX. am 9. Mai 1870 die Verteilung des Schemas über die Unfehlbarkeit an. Die vierundzwanzig Mitglieder der Glaubenskommission baten Bischof Pie, einen Bericht über dieses neue Thema zur Beratung vorzulegen; dies geschah vier Tage später auf der Generalversammlung. Im Namen der Kommission entschuldigte er sich dafür, dass er einen unkonventionellen Bericht vorlegen musste, der jedoch von der Leidenschaft diktiert wurde, mit der die öffentliche Meinung das Thema behandelt. Nachdem er die ersten drei Kapitel über die päpstliche Macht illustriert hatte, behandelte er das vierte über die Unfehlbarkeit, die logische und obligatorische Folge des höchsten und universalen Lehramtes, das der Papst innehat, und schloss mit diesen beruhigenden Worten an die Konzilsväter: „Ohne Zweifel hat das euch vorgeschlagene Schema nicht seine Vollkommenheit erreicht. Aus diesem Grund hat die von Ihnen eingesetzte Kommission keinen größeren Wunsch, als dass Sie das nur skizzierte Werk vollenden“ [13].

In vierunddreißig allgemeinen und besonderen Versammlungen – jeden Morgen und jeden Nachmittag – wurde das Thema in all seinen Aspekten behandelt, sowohl von den ultramontanen „Infallibilisten“ als auch von den „Anti-Infallibilisten“ und „Inopportunisten“. Die Gallikaner hielten nämlich weiterhin daran fest, dass die Unfehlbarkeit der Kirche nicht allein auf der Person des Papstes beruhen könne, sondern die Zustimmung des Papstes und des Konzils erfordere. Die liberalen Katholiken ihrerseits erklärten, sie seien nicht gegen die These von der persönlichen Unfehlbarkeit des Papstes, hielten es aber für unangebracht, dieses Dogma zu verkünden, weil sein „absolutistischer“ Charakter den demokratischen Geist der modernen Welt verletzen könnte (!). Sie befürchteten auch, dass die Ultramontanen die päpstliche Unfehlbarkeit rückwirkend auf den Syllabus ausdehnen würden, der ihre Pläne für eine „Christianisierung des Liberalismus“ verurteilt hatte.

Bischof Pie nutzte seinen Einfluss und besorgte sich alle Reden, die gehalten wurden, insbesondere die seiner Gegner, und nahm sie zur Kenntnis, um seine Position zu korrigieren. Manchmal ließ er seine Traurigkeit erkennen, indem er sagte: „Man wundert sich, wie selbst Kirchenmänner die Dinge ausschließlich vom menschlichen Standpunkt aus beurteilen“ [14].

Die Minderheit setzte sich dafür ein, die Debatten auf unbestimmte Zeit zu verlängern. Am 4. Juli 1870 wurde ein Telegramm aus Paris an ein Mitglied des Konzils geschickt mit den Worten: „Warten Sie ein paar Tage, die Vorsehung wird Ihnen unerwartete Hilfe schicken“. Der Krieg (AdÜ: der preußisch-französische Krieg), der in den höchsten Kreisen der französischen Regierung bereits als unausweichlich galt, war der Grund für die Vertagung der Konzilssitzung auf unbestimmte Zeit.

Doch das Telegramm kam zu spät. Am Vortag und am 4. Juli hatten insgesamt sechsundfünfzig Redner darauf verzichtet das Wort zu ergreifen, so dass die Debatte abgeschlossen wurde. Mehrere Mitglieder der Minderheit verließen Rom, und am 13. Juli genehmigte die Generalversammlung den gesamten Plan mit 451 Placet-Stimmen, 88 non placet und 62 placet juxta modum, d.h. vorbehaltlich für Verbesserungen. Einige der Mehrheit wollten eine noch klarere Definition, und die Gegner schlugen vor, einzufügen, dass der Papst, um unfehlbar zu sein, sich auf das Zeugnis der Kirchen stützen müsse: nixus testimonio Ecclesiarum, was die päpstliche Unfehlbarkeit von der Zustimmung der Bischöfe abhängig gemacht hätte.

Das Ergebnis der Initiative wurde zum Gegenteil: „Die Mehrheit betonte daher mehr die Bedeutung der widersprüchlichen Sätze“, erzählt Monsignore Pie, „und angesichts dieser Drohungen von innen und außen hat die Kirche dennoch ihre Verfassung bekräftigt“. Dem Kanon IV fügte man hinzu, dass der Papst nicht die Mehrheit, potiores partes, sondern die ganze Fülle der höchsten Gewalt innehabe. In ähnlicher Weise wurde der dogmatische Abschnitt des Vierten Kapitels mit folgenden Worten abgeschlossen: „Die Definitionen des Römischen Papstes sind von sich aus unveränderlich und nicht durch die Zustimmung der Kirche“ [15].

Am 18. Juli 1870 wurde die so verstandene und spezifizierte Unfehlbarkeit des Papstes feierlich und einstimmig von den anwesenden Konzilsvätern verkündet, mit Ausnahme von zwei Vätern, von denen einer noch am selben Abend und der andere am nächsten Tag Pius IX. seinen Treueakt zu Füßen legte. Die meisten Gegner haben sich bei der Sitzung enthalten. Am 19. Juli begann, wie in dem geheimnisvollen Telegramm aus Paris vorhergesagt, der französisch-preußische Krieg, und zwei Monate später marschierten die Piemontesen in Rom ein, sperrten Pius IX. im Vatikan ein und machten damit die Fortsetzung des Konzils unmöglich, das auf unbestimmte Zeit ausgesetzt wurde.

Ein beredtes Zeugnis für das friedensstiftende Temperament von Bischof Pie gab Bischof Xavier de Mérode ab. Dieser ehemalige Soldat aus einer belgischen Fürstenfamilie war zum Priester geweiht worden und organisierte die berühmten Zouaves zur Verteidigung des Kirchenstaates. Obwohl er ein persönlicher Freund des Bischofs von Poitiers war, stammte er aus einem liberalen Umfeld und gehörte zur Minderheit. Am Tag nach der Verkündigung des Dogmas, als Mgr. Pie bereits im Zug saß, stieg er in seinen Wagon, und nachdem er sein Gefolge gebeten hatte, sie in Ruhe zu lassen, führten die beiden Lehrgegner ein langes, tränenreiches Gespräch. Bischof Pie zeigte das gleiche Wohlwollen gegenüber allen Mitgliedern der Minderheit, indem er die Zustimmungen und Unterwürfigkeiten in die Wochenzeitung der Diözese Poitiers eintragen ließ, die er dann an den Papst schickte. Durch seine persönlichen karitativen Bemühungen erreichte er auch die Unterwerfung von Pater Alphonse Gratry in articulo mortis, dessen anti-infallibilistische Werke eine der stärksten Waffen der liberalen Presse gegen die ultramontanen Lehren gewesen waren. Im Gegensatz zu den jansenistischen Tendenzen der Gallier hatte er den Kardinal-Erzbischof von Reims, Thomas Gousset, dabei unterstützt, den „Liguorismus“ aus Italien zu importieren, die Morallehre des heiligen Alfons von Liguori, die anstelle eines schrecklichen Gottes einen Gott der Liebe und des Vertrauens propagiert.

Nachdem der Sieg der Wahrheit über die liberalen und gallikanischen Irrtümer errungen war, ließ sich der französische Verfechter des Ultramontanismus nicht dazu hinreißen, die Tragweite der konziliaren Definition zu übertreiben, indem er den Papst auch in seinem gewöhnlichen Lehramt für unfehlbar erklärte, also auch nicht in Fragen des Glaubens und der Moral?

Der künftige Kardinal Pie hätte sich über eine solche Frage gewundert, denn er kannte die menschliche Schwäche sehr gut und wusste, dass göttlicher Beistand nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen versprochen wurde: „Der Beistand, der [dem Papst] von oben garantiert wird, ist weder Inspiration noch übernatürliche eingegebene Wissenschaft. Seine Aufgabe ist es daher, keines der natürlichen und übernatürlichen Elemente zu vernachlässigen, die dem Triumph der Wahrheit und dem Werk der Gnade zum Durchbruch verhelfen können. Eines dieser Elemente ist das Studium, die Beratung, die Diskussion und die Zusammenführung aller Kenntnisse und Erfahrungen. (…) Bevor er sein Urteil fällt, darf man nicht unbeachtet lassen, das das Oberhaupt der Kirche gesetzt hat, indem er die Meinungen seiner über den ganzen Erdkreis verstreuten Brüder schriftlich einholte und die mündlichen Beratungen all derer förderte, die er um sich scharen konnte. Unter diesen Bedingungen veröffentlichte Pius IX. die dogmatische Bulle, in der er die Unbefleckte Empfängnis Mariens definierte“. Daher die Zweckmäßigkeit der Konzilien: „Was die modernste theologische Sprache die Lehre des Papstes ex cathedra nennt, nannte man in früheren Zeiten den Papst, der mit dem Konzil spricht: papa loquens cum consilio“ [16].

Mgr. Pie war sich auch der Tatsache bewusst, dass die päpstliche Unfehlbarkeit nicht das ordentliche Lehramt des Papstes umfasste, sondern dass die Gläubigen auch im Hinblick auf sein außerordentliches Lehramt nur bei dogmatischen Entscheidungen zustimmen mussten: „Die Theologie räumt nämlich ein, dass die feierlichsten Lehrakte des kirchlichen Lehramtes, auch wenn sie sich der Intelligenz und dem Glauben der Christen im Hinblick auf die endgültige Entscheidung, die sie treffen, aufdrängen, im Bereich der Kontroverse bleiben, was die Vorentscheidungen und Überlegungen zur Entscheidung betrifft“. Von da an überlässt die oberste Obrigkeit, „stark in ihrer Unfehlbarkeit hinsichtlich des Wesens der Dinge, ohne Risiko alles, was nicht Gegenstand dieses Privilegs ist, einer angemessenen und ehrerbietigen Prüfung“ [17].

Bitte entschuldigen Sie, dass ich den Rahmen eines gewöhnlichen Artikels weit überschritten habe, aber es schien mir notwendig, die wahre intellektuelle und moralische Physiognomie des Mannes wiederherzustellen, der zu seiner Zeit „der Hammer des Liberalismus“ genannt wurde, wie der hl. Hilarius von Poitiers der Hammer des Arianismus war.

Wenn dies die große Figur des unangefochtenen Verfechters der französischen ultramontanen Prälaten zur Zeit des Konzils war, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass „der Geist des Ersten Vatikanischen Konzils“ ein Geist war, der von einer übernatürlichen Liebe zur traditionellen Wahrheit durchdrungen war und daher ein objektiver, besonnener, ausgewogener und nuancierter Geist, selbst in der Hitze der Kontroverse. Daher ist von einem „extremen Ultramontanismus“ nichts zu befürchten, da er nur einen noch höheren Grad an christlicher Weisheit darstellen würde. Er ist weit entfernt von der karikierten Version, die von liberalen oder gallikanischen Gegnern vertreten wird und die heute von einigen unzureichend informierten Traditionalisten aus einem Missverständnis heraus aufgegriffen wird.

Weder der „Geist des Ersten Vatikanischen Konzils“ noch der Ultramontanismus sind für die spätere Fixierung auf die Person und das Lehramt des jeweiligen Papstes zum Nachteil des Primats der Tradition verantwortlich. Dieser „Magisterialismus“ ist ein Kind der liberal-progressiven Strömung und wurde um Leo XIII. herum geboren, mit dem Ziel, seine umstrittene Politik des „Ralliement mit der Republik“ zu unterstützen, der sich… die Ultramontanen widersetzten!

Aber das ist eine andere Geschichte, und wir werden sie für einen späteren Artikel aufheben.

 

Anmerkungen

[1] Siehe diesbezüglich den Artkel „Operative Points of View“, von don Chad Ripperger, in Christian Order, März 2001 (http://christianorder.com/features/feature_2001-03.html).

[2] R.S. Lecanuet, L’Eglise et le Second Empire, Paris, Poussièlgue, 1905, S. 430.

[3] Mons. Louis Bonard, Histoire du cardinal Pie, Bd. II, S. 488.

[4] Hirtenbrief vom 14. Juli 1866, in Œuvres de Monseigneur l’évêque de Poitiers, Bd. II S. 442-443.

[5] Ebda, Bd. VI S. 67.

[6] Mons. Louis Bonard, a.a.O. S. 330-331.

[7] Ebda, S. 331-332.

[8] Ebda, S. 340.

[9] Ebda, S. 355.

[10] Ebda, S. 365

[11] Ebda, S. 375-377.

[12] Ebda, S. 377-378.

[13] Ebda, S. 384.

[14] Ebda, S. 388.

[15] Ebda, S. 392.

[16] Ebda, Hirtenbrief und Gebot vom 24. Mai 1869, in Œuvres Bd. VI, S. 408-409.

[17] Ebda, Ansprachen im Dezember 1861, in Œuvres Bd. VI, S. 339.

Quelle: r-gr.blogspot.com

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