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Unsere Liebe Frau von Guadalupe – 1

Cesar Franco

Im Jahr 1945 hat Papst Pius XII. Unserer Lieben Frau von Guadalupe den Titel „Kaiserin der Amerikas“ verliehen. Und da wir am 12. Dezember den jährlichen Feiertag Unserer Lieben Frau von Guadalupe begehen, ist dies ein geeigneter Zeitpunkt, uns daran zu erinnern, wie sie vom Himmel aus unsere Welt regiert, wie sie uns mit ihrer mütterlicher Fürsorge und Zärtlichkeit schützt und führt.

Das fortbestehende Wunder auf der Tilma (ein Umhang der Azteken, der entweder vorne wie eine lange Schürze getragen oder wie ein Mantel um die Schultern gehängt wurde) vom Hl. Juan Diego und der Kontext der Erscheinungen erinnert uns immer wieder daran, dass Unsere Liebe Frau die Schlange besiegt hat, dass sie in das Weltgeschehen eingreift und bereitwillig für alle eintreten möchte, die sie in diesem Tal der Tränen um ihre Fürsprache anflehen.

Das Eingreifen Unserer Lieben Frau in die Geschichte.

Die älteste zuverlässige Quelle der Muttergottes-Erscheinungen, die der Hl. Juan Diego erleben durfte, wurde von Antonia Valeriano in Náhuatl verfasst, einer aztekischen Sprache, die bis heute in Mittelamerika gesprochen wird. Valeriano war Zeitgenosse des Hl. Juan Diegos und des Bischofs Juan de Zumárraga. Sein Bericht wurde 1649 veröffentlicht und ist unter dem Namen Nican Mopohua (Náhuatl für „Hier wird es berichtet“) bekannt.

Juan Diego war am 9. Dezember 1531 auf seinem Weg zur Heiligen Messe in der heutigen Mexiko-Stadt.  Bei Tagesanbruch näherte er sich dem Tepeyac Hügel, der wenige Meilen vor seinem Ziel lag. Juan Diego war kein gewöhnlicher Indianer, war er doch der Enkel von König Netzahualcoyotl, und der Sohn von König Netzahualpilic[1] und Königin Tlacayehuatzin, die eine Nachfahrin von Moctezuma I. war.

Als sich Juan Diego dem Gipfel näherte, geschah etwas Außergewöhnliches.  Unsichtbare Vögel stimmten einen übernatürlichen Gesang an.  Da die einen Vögel pausierten, während andere antworteten, ergab sich ein himmlisches Duett.  Er glaubte, zu träumen, und sinnierte darüber, wie unwürdig er doch war, etwas derartig Außergewöhnliches zu erleben.

Die himmlische Symphonie verstummte und eine süße Stimme rief vom Gipfel: „Juanito!  Juan Diegito!” Als er das hörte, erklomm er verzückt den Hügel. Was er vorfand, als er die Quelle der Stimme erreichte, sollte sein Leben für immer verändern. Es stand dort eine wunderschöne Dame auf einem Felsen. Alles, was sie umgab, war verwandelt: Ihr Gewand war strahlend wie die Sonne. Der Felsen, worauf sie stand, schien Lichtstrahlen auszusenden.  Sie war eingehüllt von einem prächtigen Regenbogen. Die Kakteen und die weiteren Pflanzen in der Nähe glichen Smaragden; ihre Stacheln funkelten wie Gold, und ihre Blätter leuchteten in einem hellen Türkis.

Juan Diego verneigte sich in feierlicher Ehrerbietung vor ihr. Es folge ein trauliches Gespräch zwischen Unserer Lieben Frau und Juan Diego: „Höre, xocoyote mio[2], Juan, wo gehst du hin?“

Von Freude überwältigt antwortete er: „Meine Heilige, meine Herrin, mein liebes Fräulein, ich bin auf dem Weg zu Eurem Haus in Mexiko-Tlatilulco; ich möchte all das Heilige erlangen, das uns unsere Priester lehren.“

Die himmlische Frau offenbarte ihm, dass sie wirklich die Mutter Gottes war, und eröffnete ihm ihren Wunsch, eine Kirche bauen zu lassen, wo sie all ihre Liebe, Barmherzigkeit, Hilfe und ihren Schutz gewähren könnte. Sie bezeugte Juan Diego ihre überfließende Liebe, und auch „all den anderen Menschen, die mir so am Herzen liegen und die mich anrufen, die mich suchen, die sich mir anvertrauen; hier will ich ihre Sorgen, ihre Worte hören, damit ich ihre Krankheiten heilen kann, ihre Lasten und ihr Elend.“

Mit dieser Nachricht sandte Unsere Liebe Frau den noblen Juan Diego zum Bischof von Mexiko. Sie forderte ihn auf, die Mission sorgsam zu erfüllen und versprach, seinen Dienst zu belohnen. Juan Diego verneigte sich, sagte ihr, dass er ihren Wunsch sofort erfüllen würde, und ging.

Bruder Juan de Zumárraga war einer der ersten der zwölf Franziskaner-Missionare in Mexiko, und der erste Bischof des Landes. Als Juan Diego den Bischofspalast erreichte, verkündete er gleich, dass er dem Bischof eine Nachricht zu überbringen hätte. Die Diener des Bischofs geboten Juan Diego zu warten, bevor sie ihm zur Audienz einließen. Dem Willen der Dame gehorsam, erzählte er dem Bischof mit großer Begeisterung, was er gesehen und gehört hatte. Bischof Zumárraga hörte aufmerksam zu, forderte Juan Diego jedoch auf, noch einmal wiederzukommen, um die Angelegenheit ausführlicher zu besprechen. Wie sollte er auch sicher sein, dass diese Geschichte überhaupt wahr war?

Juan Diego kehrte zum Tepeyac Hügel zurück. Als er dem Hügel näherkam, wartete die Muttergottes bereits auf ihn. Er trat näher und kniete nieder.

Traurig gestand er, dass er bei seiner Mission gescheitert war. Heilige, Edelste aller Menschen, meine Herrin, meine xocoyata, mein Fräulein…“

Juan Diego versuchte zu erklären, wieso er gescheitert war: Er sei niemand, der einer solchen Mission würdig war, und so sei der Bischof misstrauisch gewesen. Die Muttergottes hörte liebevoll und geduldig seinen Vorschlag an, statt ihm einen der bekannten und hochgeschätzten Herren des Landes zu entsenden. Dann, so meinte er, würde man die Botschaft viel eher glauben.

Unsere Liebe Frau aber ließ sich davon nicht überzeugen. Sie wollte, dass er selbst die Mission erfüllte und sagte: „Ich bitte dich, mein xocoyote, dass du morgen noch einmal zum Bischof gehst und mich vor ihm vertrittst; mach ihm meinen Wunsch, meinen Willen deutlich, damit er die Kirche baut, die ich möchte…“

Juan Diego hatte nicht etwa Angst vor der Schwierigkeit der Mission; er hatte nur Angst, sie nicht erfüllen zu können. Doch er versprach Unserer Lieben Frau, ihren Auftrag zu erfüllen und am folgenden Abend mit der Antwort des Bischofs wiederzukehren.

„Und jetzt verlasse ich Sie, meine xocoyota, mein Fräulein, meine Herrin; ruhen Sie sich währenddessen aus.“ Juan Diego schlug der Muttergottes doch wirklich vor, sie solle sich ausruhen! Es ist erstaunlich, wie sie ihm zugestand, so mit ihr umzugehen und seine Unvoreingenommenheit akzeptierte.

Am nächsten Tag machte sich Juan Diego auf dem Weg zur Hl. Messe. Danach ging er direkt zum Bischofspalast, fiel dort auf seine Knie und wiederholte alles, was die Muttergottes ihm gesagt hatte. Der Bischof stellte im Gegenzug Fragen über die Dame. Er war jedoch immer noch nicht ganz überzeugt und sagte, dass er nicht sicher sein konnte, dass die Erscheinung auch wirklich die Muttergottes war. So bat er um ein Zeichen von ihr als Bestätigung, da sie den Bau einer Kirche verlange.  

Juan Diego erklärte dem Bischof zuversichtlich, dass er Unsere Liebe Frau um ein Zeichen bitten würde. Der Bischof stimmte zu und beauftragte dann einige Diener, Juan Diego zu folgen und ihm zu berichten, was er tat. Sie verloren ihn jedoch aus den Augen und konnten ihn nicht mehr finden.

So kehrten sie zurück und sprachen sehr schlecht über ihn vor dem Bischof. Sie beschlossen sogar, Juan Diego zu bestrafen, sollte er wieder auftauchten.

Juan Diego hätte am Montag mit dem verlangten Zeichen wiederkommen sollen; als er jedoch zu Hause ankam, lag sein Onkel Juan Bernadino schwerkrank darnieder. Der Gesundheitszustand seines Onkels verschlechterte sich am Abend so sehr, dass dieser Juan Diego am Dienstag in der Früh bat, einen Priester zu rufen.

Der Neffe gehorchte; er wählte seine Route so aus, dass er nicht in die Nähe des Tepeyac Hügel kommen würde. Er befürchtete nämlich, dass die Muttergottes ihn sehen und wieder dazu anregen würde, sich sogleich um die ihm anvertraute Mission zu kümmern. Darum nahm er einen Weg, auf dem er, so meinte er, ungesehen an der Muttergottes vorbeikommen würde.

Er schlich sich heimlich vorwärts, aber Unsere Liebe Frau entdeckte ihn und fragte: „Xocoyote mio, wo gehst du hin? Was ist das denn für ein Weg, den du da nimmst?“

Verlegen suchte Juan Diego nach einer diplomatischen Antwort: „Meine Tochter, meine xocoyota, Gott erhalte Euch, Madame. Wie seid Ihr nur aufgewacht? Geht es Euch gut?“ Dann erklärte er seine Umstände. „Meine Dame, meine Herrin, vergibt mir und seid geduldig, bis ich meine Pflicht erledigt habe; morgen will ich dann zu Euch zurückkommen.“ Man muss einfach lächeln, wenn man sich Juan Diego in seiner Einfachheit vorstellt, wie er Unsere Liebe Frau bittet, bis zum nächsten Tag zu warten, sobald er seinem sterbenden Onkel geholfen hatte.

Die Muttergottes antwortete liebevoll: „Hab keine Furcht oder Trauer; dein Herz entmutige sich nicht; wie schwer auch immer die Krankheit sein mag, von der du da sprichst, bin ich, deine Mutter, denn nicht hier, und ist meine Hilfe nicht Zuflucht?“

Sie sagte ihm, dass sein Onkel bereits geheilt war. Da freute sich Juan Diego sehr und bat sie, ihm ein Zeichen zu geben, wie es der Bischof verlangte.  Sie befahl ihm, auf den Hügel zu gehen, die Blumen zu pflücken, die er dort finden würde, und sie zu ihr zurückzubringen. Es war aber Dezember und auf dem Hügel wuchsen lediglich Kakteen und ein paar andere karge Pflanzen. Juan Diego aber fand auf dem Hügel eine überreiche Fülle wohlriechender kastilischer Rosen.

Vorsichtig schnitt er einige ab, wickelte sie in seine Tilma, ein Umhang aus Kaktusfaser. So kehrte er zu Unserer Lieben Frau zurück; sie selbst arrangierte die Blumen mit großer Sorgfalt in seinem Umhang und trug ihm auf, zum Bischof zu gehen und ihm das Zeichen zu zeigen, das er erwartete. Sie trug ihm auch auf, seinen Umhang für niemanden sonst zu öffnen als für den Bischof.

Juan Diego eilte zu Bischof Zumárraga und war sich sicher, dass er nun erreichen würde, was sich die Liebe Frau wünschte. Auf dem Weg hüllte ihn der wundervolle Rosenduft ganz ein. Vor dem Bischofspalast musste er lange warten. Die Diener sahen in ihm nur eine Belästigung und ließen ihn absichtlich lange warten. Sie forderten ihn sogar auf, ihnen den Inhalt seines Umhanges (Tilma) zu zeigen.

Als er sich weigerte, stießen sie ihn gewaltsam weg. Juan Diego wurde klar, dass er den Bischof nie sehen würde, bevor er den Dienern nicht einen kurzen Blick in seine Tilma gewährte. Als die Diener die himmlischen Rosen sahen und rochen, versuchten sie dreimal ihm die Rosen wegzunehmen. Bei jedem Versuch jedoch wurden die Rosen plötzlich Teil des Umhangs, als wären sie dem Stoff aufgemalt. Dann endlich führten sie den Boten Unserer Lieben Frau zum Bischof hinein. Juan Diego kniete nieder und begann zu erklären, was er gesehen und von Unserer Lieben Frau vernommen hatte. Der Bischof  hörte wieder konzentriert zu.

Um nun zu beweisen, dass er die Wahrheit sagte, öffnete Juan Diego seinen Umhang und ließ die Rosen zu Boden fallen. Alle Umstehenden, die das sahen, fielen in stummem Staunen auf ihre Knie. Wundersam in die Tilma eingeprägt war das perfekte Abbild Unserer Lieben Frau. Beim Gedanken, wie sie den Boten der Gottesmutter behandelt hatten, begannen sich die Diener zu schämen.

Bischof Zumárraga nahm Juan Diego mit Tränen in den Augen die Tilma ab, legte sie in seine Privatkapelle und lud Juan Diego ein, über Nacht im Palast zu bleiben. Am nächsten Tag gingen die beiden, gefolgt von einer großen Menge, zu jener Stelle, wo Unsere Liebe Frau ihre Kirche gebaut haben wollte. Juan Diego erklärte bis ins Detail, wie sich die Erscheinungen zugetragen hatten. Danach gingen sie weiter zu Juan Bernadino, um sich dessen Gesundheitszustandes zu vergewissern.

 

[1] Netzhualcoyotl ist in der mexikanischen Geschichte bekannt als Krieger, Philosoph und Dichter. Aus seinen Beobachtungen Natur folgerte er die Existenz eines einzigen, unsichtbaren Gottes, Schöpfer aller Dinge, den er verehrte und zu dessen Ehre er sechzig Psalmen, ähnlich den biblischen, dichtete. Er verabscheute Menschenopfer und die Götzenverehrung.

[2] (Náhuatl für „kleinster meiner Söhne“. Xocoyota ist die entsprechende weibliche Form für “Tochter”)

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