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Ich bin katholisch. Darf ich mich Papst Franziskus‘ Ansicht zu Privateigentum widersetzen?

John Horvat II

Die Enzyklika Fratelli Tutti von Papst Franziskus stellt für alle, die das Recht auf Privateigentum verteidigen, ein Dilemma dar. Denn das Lehrdokument, das Papst Franziskus am 3. Oktober unterzeichnet hat, stellt dieses Recht in Frage. Allerdings haben ehemalige Päpste, Theologen und Kirchenrechtler immer gelehrt, dass Privateigentum, so, wie es weitgehend praktiziert wird, gerechtfertigt und notwendig ist für das ordnungsgemäße Funktionieren der Gesellschaft. Diesem Meinungskonflikt stehen nun viele Katholiken ratlos gegenüber.

Und es ist keine kleine Debatte. Ja, es könnte kaum mehr auf dem Spiel stehen, da die ganze westliche Welt von einem System abhängt, das auf Eigentum, Rechtsstaatlichkeit und einem freien Markt beruht. Der Papst bittet seine Leser, darüber nachzudenken, „die soziale Rolle des Eigentums neu zu erdenken“. Er wünsche sich große gesellschaftliche Veränderungen in Amerika bzw. im ganzen Westen. Er glaube, dass die Güter der Welt allen Menschen gehören und unter allen geteilt werden müssen, um allen die entsprechende Würde zu gewährleisten. Das klingt sehr stark nach Kommunismus. Franziskus‘ Einwände gegen den Markt und „konsumeristische“ Wirtschaftsmodelle lassen wenig Zweifel daran, dass er nicht nur ein paar Systemanpassungen sehen will, sondern einen massiven Paradigmenwechsel.

Katholiken müssen nun wissen, wie sie auf diese päpstliche Forderung reagieren sollen, damit der Westen nicht in einer marxistischen Gewaltherrschaft untergeht, wo Eigentumsrechte nichts mehr bedeuten.

Die universale Bestimmung geschaffener Güter

Das zentrale Argument dieses „Neu-Erwägens“ ist das Prinzip der „universalen Bestimmung der geschaffenen Güter“. Franziskus erklärt: „Das Prinzip der gemeinsamen Nutznießung der für alle geschaffenen Güter ist das ‚Grundprinzip der ganzen sozialethischen Ordnung‘, es ist ein naturgegebenes und vorrangiges Recht. Alle anderen Rechte an den Gütern, die für die ganzheitliche Verwirklichung der Personen notwendig sind, […] dürfen seine Verwirklichung nicht erschweren, sondern müssen sie im Gegenteil erleichtern.“ [Fratelli Tutti, 120]

Die Kirche lehrt wirklich, dass Gott die Güter der Welt für alle geschaffen hat. Niemand bestreitet diese Wahrheit. Unter Katholischen Moralisten gilt etwa unumstritten die Meinung, dass das Recht auf Leben höher steht als jenes auf Privateigentum. Es wird auch jeder einsehen, dass Eigentum eine sogenannte soziale Funktion hat, was bedeutet, dass Eigentümer über ihr Eigeninteresse hinausgehen und mit ihrem Eigentum auch dem Gemeinwohl dienen müssen.  

Die Kirche definiert allerdings die Grenzen dieser sozialen Funktion. Diese Grenzen können auch diskutiert werden, ohne dass die Eigentumsrechte „neu gedacht“ werden müssten. Eine solche Diskussion würde einen ausgeglichenen Umgang mit den Anregungen, wie mit Bedürftigen umgegangen werden soll, ermöglichen.

Ein korrektes Verständnis der sozialen Rolle des Eigentums

Würden Katholiken in dieser Diskussion der traditionellen Lehre der Kirche unterwiesen werden, wüssten sie, dass „die universale Bestimmung der geschaffenen Güter“ nicht bedeutet, dass Eigentümer gleichzusetzen sind mit Dieben, die Bedürftigen die Güter nehmen, auf die sie selbst ein Recht haben. Bedürftige haben nicht das Recht, von Eigentümern willkürlich alles an sich zu reißen, was sie zu benötigen glauben.

Ganz im Gegenteil: Die korrekte Haltung wäre, dass der Besitz von Privateigentum gut und gottgefällig ist, denn sie ist der Ordnung der Gesellschaft förderlich. In der Enzyklika Rerum Novarum von Leo XIII im Jahr 1891 heißt es: „Dass Gott die Erde dem ganzen Menschengeschlecht zum Gebrauch und zur Nutznießung übergeben hat, steht durchaus nicht dem Privatbesitz entgegen. Denn Gott hat die Erde nicht in dem Sinne der Gesamtheit überlassen, dass alle ohne Unterschied Herren über dieselbe sein sollten, sondern insofern, als er selbst keinem Menschen einen speziellen Teil der Erde zum Besitze gegeben hat, vielmehr dem Fleiße der Menschen und den von den Völkern zu treffenden Einrichtungen die Ordnung der Eigentumsverhältnisse anvertraut hat. All dies kann nicht anders erreicht werden als durch die Aufrechterhaltung einer sicheren und definierten Ordnung.“ [Rerum Novarum, 7]

So ist Privateigentum ein Mittel, um dem Gemeinwohl zu dienen. Allein die Tatsache, dass ein Besitz privat gehalten wird bedeutet nicht, dass er nicht mehr dem Gemeinwohl dient. Die ganze Gesellschaft profitiert von den Auswirkungen des Privateigentums. Im Gegensatz dazu fügen jene, die Besitz einnehmen und beschlagnahmen, dem Gemeinwohl und der Ordnung der Gesellschaft Schaden zu und vereiteln die Zwecke des Eigentums.

In seiner Enzyklika Quadragesimo Anno von 1941 erkennt Pius XI. den „Doppelcharakter des Eigentums“ an, „welches in der Regel individuell oder sozial genannt wird, je nachdem, ob es sich auf einzelne Personen oder das Gemeinwohl bezieht.  Denn sie [die Theologen] waren sich immer einig, das Sondereigentumsrecht sei von der Natur, ja vom Schöpfer selbst dem Menschen verliehen, nicht nur, damit der Einzelne für sich und die Seinen sorgen kann, sondern damit mittels dieser Institution die vom Schöpfer der ganzen Menschheitsfamilie gewidmeten Erdengüter diesen ihren Zweck erfüllen.“ [Quadrogesimo Anno, 45]

Ja, arme Menschen leiden, wenn Privateigentum verweigert wird. Die verheerenden Auswirkungen des Kommunismus zeigen, dass die Beschlagnahme von Eigentum im Namen des Volkes Wirtschaft und Kultur zerstört und alles auf das bitterste Elend reduziert.

Eine spaltende Auffassung von Eigentum

Das Problem mit Franziskus‘ Vorstellung von Eigentum ist, dass sie nicht die Grenzen der sozialen Funktion des Eigentums definiert. Er behauptet, dass die universale Bestimmung der geschaffenen Güter und die private Nutzung von Eigentum in andauernder Spannung stehen. Doch durch diese “ Priorität der universalen Bestimmung der geschaffenen Güter“ wird nicht verhindert, dass sie und Eigentum jedweder Größe friedlich nebeneinander bestehen können. Diese Priorität reduziert in keiner Weise die Notwendigkeit, Privateigentum zu respektieren.

Darüber hinaus übergeht Franziskus in seinem dringlichen Appell, „die soziale Rolle des Eigentums neu zu erdenken“, die wirtschaftlichen Fortschritte, durch die Privatbesitz bislang der gesamten Gesellschaft dienlich geworden ist. Er steckt alle Privateigentümer in eine Kategorie von Unterdrückern, in die sie nicht gehören.

Vor allem aber weitet Franziskus die Verpflichtungen aus, die Privateigentümern gegenüber Bedürftigen haben sollen. Sie enthalten nicht mehr nur das absolute Minimum, das Recht auf Leben zu unterstützen. Für Papst Franziskus müssen Eigentümer Notleidenden unbefristet eine ganze Reihe nicht näher definierter Güter zur Verfügung stellen, um sicherzustellen, dass „jeder Mensch in Würde lebt und ausreichende Möglichkeiten für seine ganzheitliche Entwicklung hat“.

Die falsche Grundlage für ein Urteil 

Dieser Vision fehlt das korrekte Verständnis der sozialen Funktion von Privateigentum, von dem Pius XII. behauptet, dass es „nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Nächstenliebe allen gleichermaßen zukommen sollte“. Stattdessen sollen Bedürftige, gestützt von linken Medien und sozialen Aktivisten, selbst bestimmen, was denn für ihre „ganzheitliche Entwicklung“ notwendig ist.

Die Kirche hat immer Wohlhabende aufgefordert, Bedürftigen von ihrem Besitz zu geben und durch diese freiwilligen Akte der Nächstenliebe Verdienste zu erlangen. Sie erzwingt aber keine Nächstenliebe. Ebenso lehrt die Kirche, dass Bedürftige die Tugend der Gerechtigkeit praktizieren müssen, indem sie ihren Wohltätern Dankbarkeit und Respekt bezeugen und sie unterstützen. Wenn beide Seiten auf die Kirche hören, kann soziale Harmonie entstehen. In Fratelli Tutti werden jedoch die Verpflichtungen zu der Gerechtigkeit, die Bedürftige gegenüber ihren Wohltätern haben, gar nicht erst erwähnt.

Die Enzyklika ersetzt diese tugendhaften Verhaltensweisen der Nächstenliebe und Gerechtigkeit durch den Geist der „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“[Tutti Fratelli, 103f.] – durch die antichristliche und blutige Parole der Französischen Revolution. Die christliche Nächstenliebe wird durch die antichristliche „Brüderlichkeit“ ersetzt. Ein derart deterministisches Gesellschaftsverständnis besagt, dass soziale und wirtschaftliche Strukturen für Armut verantwortlich sind. Wie ein fernes Echo hallt der marxistische Ruf nach der Abschaffung allen Privateigentums in der Forderung des Dokuments nach der Priorisierung der „universalen Bestimmung der geschaffenen Güter über alle Rechte, einschließlich des Privateigentums“.

Ein seichter Anreiz für alle

Franziskus wendet sich an die ganze Welt und ruft auf „zum Dialog zwischen allen Menschen guten Willens“. Er spricht „eine einzige Menschenfamilie“ an, als „Weggefährten, als Kinder derselben Erde, die unser gemeinsames Zuhause ist, wo jeder und jede von uns den Reichtum seines oder ihres Glaubens und seiner oder ihrer Überzeugungen mitbringt, jeder von uns mit der eigenen Stimme, alle als Brüder und Schwestern.“

So reduziert der Appell alles auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, sodass keiner vom anderen ausgelassen oder beleidigt werden möge. An dieser Botschaft, die allen alles sein will, ist nichts sonderlich Katholisches. Das Ergebnis ist eine seichte „Brüderlichkeit“, die nicht urteilt und unterscheidet zwischen Wahrheit und Irrtum, Gut und Böse, Tugend und Sünde. Sie posaunt eine leere Nächstenliebe heraus, die nicht auf der Liebe Gottes beruht, und eine ganzheitliche Entwicklung, die nichts mit Erlösung zu tun hat.

Das verblüffendste an der Enzyklika, die „die soziale Rolle des Eigentums neu denken“ will, ist, dass sie nicht erklärt, warum die Kirche dieses Neu-Denken bräuchte. Der Schatz der kirchlichen Lehre über die soziale Funktion des Eigentums ist ausgesprochen groß, wenn er auch in der heutigen säkularisierten, gottlosen Welt weitgehend keine Anwendung findet. Warum nicht die vergessenen Wahrheiten der Kirche ausgraben, die der Gesellschaft Schönheit, Klarheit und soziale Harmonie bringen können? Diese eigenartige Enzyklika, die sich an alle im Allgemeinen und niemanden im Spezifischen richtet, lässt die einzige wahre Lösung für alle Probleme unserer Welt beiseite: Die Rückkehr der Heiden zu dem Einen Wahren Gott und zu der Einen Wahren Kirche.

Man darf sich also getrost fragen:  „Ich bin katholisch. Darf ich mich Papst Franziskus‘ Ansicht zu Privateigentum widersetzen?“  


Referenzen:

Quadrogesimo Anno, Papst Pius XI. 1931:

https://homepage.univie.ac.at/christian.sitte/PAkrems/zerbs/volkswirtschaft_I/beispiele/wio_b07.html

Rerum Novarum, Papst Leo XIII. 1891:

https://homepage.univie.ac.at/christian.sitte/PAkrems/zerbs/volkswirtschaft_I/beispiele/wio_b06.html

Tutti Fratelli: http://www.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20201003_enciclica-fratelli-tutti.html

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